Sonntagsbrief zum 1. Sonntag in der Fastenzeit 18. Februar 2018

17. Februar 2018 von Anna Röder

Die Wüste: Ort der Versuchung und Spielraum Gottes

Ilya Repin, Versuchung Christi. Öl auf Leinwand 47x60 cm, Ende 19. oder Anfang 20. Jh

 

„Danach trieb der Geist Jesus hinaus in die Wüste. Dort wurde er vierzig Tage vom Satan auf die Probe gestellt. Jesus lebte bei den wilden Tieren und die Engel brachten ihm zu essen.

Johannes der Täufer wurde ins Gefängnis geworfen. Danach kam Jesus nach Galiläa und verkündete die Gute Nachricht von Gott: »Die von Gott bestimmte Zeit ist da. Sein Reich wird sichtbar in der Welt. Ändert euer Leben und glaubt dieser Guten Nachricht.«

Mk 1, 12-15 BasisBibel,Stuttgart

 

 

 

Vor einigen Wochen löste Papst Franziskus mit seiner Anregung, das „Vater Unser“-Gebet abzuändern, einige Diskussionen aus. Die Bitte “Und führe uns nicht in Versuchung“ solle zugunsten einer gewandelten Formulierung, etwa so, wie es die französischsprachigen Katholikinnen und Katholiken beten: “Lasst uns nicht in Versuchung geraten“ , geändert gebetet werden. Darüber entbrannte innerkirchlich eine große Debatte. Es ist hier nicht der Ort, das Für und Wider der Argumente auszubreiten. Mir kommt es darauf an, zu schauen, was diese Textstelle des Markusevangeliums auch dazu sagen kann.

Die gerade begonnene Fastenzeit zielt vielfach auf Besinnung, Heilung durch Verzicht. Ein anderer Blick, der mir näher ist, liegt in einer Neuausrichtung, der eher mit neuem Sehen und Verstehen einhergeht. Der Bibeltext verweist auf die eng miteinander verwandten Männer Jesus und Johannes; beide hatten Visionen und Aufträge. Als Jesus sich von Johannes taufen ließ, offenbarten sich grundsätzliche Unterschiede. Johannes zog bewußt in ein unreines Gebiet am 120km langen Lauf des Jordan, wo es auch heidnisch besiedeltes Gebiet mit Schweinehaltung gab, die im Judentum als „unrein“ gelten. Ein Affront für die Jerusalemer Hohepriester, dass dieser „Laie Johannes“ dort taufte!

Seine Vision lag in einer Umkehr-Bewegung, einer Anti-Bewegung, eine Art „Judentum von unten“! Sie wollte bewusst provozieren: gegen die heiligen Traditionen im Tempel mit ihren Priestern und Liturgien, gegen Leviten, Tempelsteuer und Opfer gerichtet. Umkehr und Taufe erwirkten, so predigte er, Vergebung der Sünden. Sünden vergeben konnte jedoch, nach damaliger Auffassung der Hohepriester und Schriftgelehrten, einzig Gott. Johannes schrieb sich somit eine Vollmacht zu, die allein Gott reserviert war: Sünden konnten nur im Tempel zu Jerusalem vergeben werden durch die Priester, und dies nur nach Kauf und Opfer dazu festgelegter reiner Tiere. Johannes setzt eine neue Form dagegen: Kein Geld, keine Tiere, keine Opfer, keine Priester, einfach tatsächliche Umkehr und Taufe. Jesus wird später ebenso wie Johannes Sünden vergeben. Und wie Johannes wusste auch er, dass dies ein todeswürdiges Vergehen gegen das Gesetz des Mose war, das als Gottes offenbarter Wille geglaubt wurde.

Jesus und Johannes stimmten offensichtlich im tiefsten Denken überein: Es brauche ein „alternatives Judentum“, eine „Bewegung von unten“, etwas ganz anderes als die Riten der Leviten im Tempel. Im Gegensatz zu Johannes lebte und predigte Jesus jedoch nicht Drohung, mit radikaler Wucht, gewaltiger, furchterregender Stimme, um Menschen zur Umkehr zu bewegen. Nein, Jesus argumentiert mit Geduld, Abwarten, hörbarem Mitgefühl, mit Güte und einer guten Portion rhetorischem Geschick, um Missstände sichtbar zu machen. Johannes ist der dem Leben abgewandte Asket, Jesus der dem Leben zugewandte Freund der Menschen. Aber beide, Johannes und Jesus, bekennen sich auch zum sozialen Verhalten, wie es die mosaischen Gesetze vor Augen führen: Durstigen zu trinken zu geben, Hungrigen zu essen geben, Fremde aufnehmen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangene trösten. Während sich Johannes mit seiner Bewegung letztlich isolierte und im Gefängnis starb, weitete Jesus seinen Radius aus. Sein Blick glich einer Neuausrichtung, die zur Liebe Gottes führt, auch und gerade, weil Menschen auf diesem Weg gefährdet sind.

"Versuchung" meint dann vielleicht eher: nicht Gott wird gebeten, etwas zu unterlassen, sondern der Mensch ist der, der handelt. Jesus übernimmt den Glauben seiner Vorfahren in seine Botschaft auf, aber er schreibt ihn ganz anders, ganz neu. Jesus hat sehr großen Wert darauf gelegt, Gottes väterliche und mütterliche Züge zu zeichnen, die nicht niederdrücken oder gar abschrecken, sondern befreien und begleiten. Jesus weist alle dunklen Aspekte Gottes zurück: Gott ist dein Vater. Ihm allein kannst Du trauen und vertrauen. Der Weg zum Vater ist direkt, Du kannst ihm ganz unmittelbar begegnen, weit mehr und besser.

Regina Grotefend-Müller

 Bildnachweis: Ilya Repin, Versuchung Christi. Öl auf Leinwand 47x60 cm, Ende 19. oder Anfang 20. Jh

 

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