Sonntagsbrief zu Ostern 2018

31. März 2018 von Anna Röder

„Halte mich nicht fest!“- Ostern ist ein befreiendes Bewegungsgeschehen

©Ralph Hammann

Am ersten Wochentag nach dem Sabbat ging Maria aus Magdala zum Grab. Es war früh am Morgen und noch dunkel. Da sah sie, dass der Stein vor der Grabkammer entfernt worden war. Sie rannte zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus besonders liebte. Denen berichtete sie: »Sie haben den Herrn aus dem Grab fortgebracht. Und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.« Sofort machten sich Petrus und der andere Jünger auf den Weg zum Grab. Die beiden rannten zusammen los, aber der andere Jünger überholte Petrus und war als Erster dort.

Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden daliegen. Aber er betrat die Grabkammer nicht. Als Simon Petrus nachkam, ging er gleich in die Grabkammer hinein. Er sah die Leinenbinden daliegen und auch das Tuch, mit dem das Gesicht von Jesus verhüllt gewesen war. Das lag aber nicht bei den Binden. Es war zusammengerollt und lag an einem anderen Platz. Nun ging auch der andere Jünger hinein, der zuerst am Grab angekommen war.

Er sah alles und kam zum Glauben. Sie hatten ja die Heilige Schrift noch nicht verstanden, nach der Jesus vom Tod auferstehen musste. Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück. Jesus zeigt sich Maria aus Magdala . Maria blieb draußen vor dem Grab stehen und weinte. Mit Tränen in den Augen beugte sie sich vor und schaute in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel. Sie trugen leuchtend weiße Gewänder und saßen dort, wo der Leichnam von Jesus gelegen hatte. Einer saß am Kopfende, der andere am Fußende. Die Engel fragten Maria: »Frau, warum weinst du?« Maria antwortete: »Sie haben meinen Herrn fortgebracht. Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!«

Nach diesen Worten drehte sie sich um und sah Jesus dastehen. Sie wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus fragte sie: »Frau, warum weinst du? Wen suchst du?« Maria dachte: Er ist der Gärtner. Darum sagte sie zu ihm: »Herr, wenn du ihn fortgeschafft hast, dann sage mir, wo du ihn hingelegt hast. Ich will ihn zurückholen!« Jesus sagte zu ihr: »Maria!« Sie wandte sich ihm zu und sagte auf Hebräisch zu ihm: »Rabbuni!« (Das heißt: Lehrer!) Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater hinaufgestiegen. Aber geh zu meinen Brüdern und richte ihnen von mir aus: ›Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.‹« Maria aus Magdala ging zu den Jüngern. Sie verkündete ihnen: »Ich habe den Herrn gesehen!« Und sie erzählte, was er zu ihr gesagt hatte.

Joh20,1-18 (BasisBibel)

 

Kennen Sie Wege-Geschichten ? Persönliche Erlebnisse und Erfahrungen Ihres Lebens: Wanderwege, Umwege, Leidenswege, Glaubenswege, Lebenswege ? Das Osterereignis, die Erfahrung dieses einzigartigen Erlebnisses, ist auch eine Wege-Geschichte. Sie hat viel mit Be-Wegung zu tun. Diese Perspektive des österlichen Auferstehungsgeschehens erschließt sich evtl. nicht sofort, sondern im näheren Hinschauen auf die Begegnung zwischen dem auferstandenen Jesus und Maria Magdalena.

Maria – die Frau aus Magdala, die Geheilte und Jüngerin an der Seite Jesu, die Zeugin seiner Kreuzigung und seines Todes wurde, die die Verkündigung seiner Auferstehung als Auftrag verstand, später als Predigerin in Vergessenheit geriet, eine „bekehrte Sünderin“, eine Prostituierte und Heilige! Sie ist eine der schillerndsten Figuren der christlichen Tradition. Keine andere Frau wird im NT öfter genannt (14 mal!) als sie. In der Gefolgschaft Jesu ist sie eine zentrale Person. Doch wer ist sie eigentlich ? Die Frage, wer Maria v. Magdala war, in der frühen Kirche als erste Verkünderin der Auferstehung Jesu, die als „Apostolo Apostolorum“, als Apostelin der Apostel , verehrt wurde, be-wegt (!) bis heute. Unzählige Darstellungen in Kunst, Roman, Filmen beschäftigen sich mit ihr. In ihrer Person verschmelzen fünf Frauengestalten zu einer einzigen Figur, der Hl. Magdalena. Doch sie wurde zum Objekt einer facettenreichen Wirkungsgeschichte, losgelöst vom biblischen Original.

In der österlichen Begegnung Magdalenas am leeren Grab lernen wir indes einiges über ihre wahre Gestalt. Das zentrale Geschehen dieses Ostertextes stellt die Begegnung zwischen Jesus und Maria dar; der „Jüngerwettlauf“ wurde erst nachträglich eingefügt. Die Dynamik der Osterbegegnung ist mit viel Unruhe verbunden. Den Rahmen bildet Marias Kommen zum Grab und ihr Weg weg von dort. Dazwischen läuft sie noch einmal hin und her. Auch die Begegnung mit den beiden Engeln ist mit Bewegung verbunden. Maria agiert, bewegt sich, strahlt trauernde Unruhe und Rastlosigkeit aus, während Jesus schließlich einfach plötzlich „ dasteht“ und sie anspricht.

 Im Gespräch geschieht die entscheidende Begegnung. Aber sie gelingt erst, als Jesus Maria bei ihrem Namen nennt. Genau in diesem Augenblick kommt ihr suchendes Hin und Her zur Ruhe: sie wendet sich zweimal um und plötzlich reagiert sie mit einem einzigen vertraulichen Ausruf : „Rabbuni!“ In diesem Augenblick treffen sich beide ohne missverstehendes Aneinander-Vorbei: Jesus spricht zu ihr, erklärt ihr die österliche Situation und erteilt ihr einen Auftrag. Maria versteht nun auch, weshalb sie die Begegnung mit Jesus wieder loslassen muss! Er ist auf dem Weg (Wege-Geschichte!) zu einer dauerhaften Gemeinschaft zwischen ihm, dem Vater und den Jüngerinnen und Jüngern.

Marias Unruhe, ihre verzweifelte Suche nach dem toten Jesus im leeren Grab, weicht einem zielgerichteten Rückweg. Sie geht gesandt, gestärkt und bewusst aus dieser Begegnung heraus, denn sie geht (Wege-Geschichte!) verkündigend. Ihr Glaubens-Weg hat ein neues Ziel und ist ausgerichtet und bestimmt durch die Botschaft, die sie zu sagen hat : „Ich habe den Herrn gesehen!“ Die fieberhaft, tränenverschleierte Hektik löst sich auf in eine Begegnung mit dem Leben, die alles umdreht, auf den Kopf stellt, den Blick weitet zur Bereitschaft für eine Lebenswende, von Nacht zum Tag, von Trauer zur Freude, vom Tod zum Leben. Den Schmerz aushalten , tiefste Verbundenheit auskosten und doch loslassen, neue Wege einschlagen, weil nur die so befreite Liebe auch mich und andere befreien kann.

Regina Grotefend-Müller

Bildnachweis: Alsace, Bas-Rhin, Walbourg, Église abbatiale Sainte-Walburge

Verrière "St-Jean-Baptiste, Marie et Jésus" (1461): l'apparition à Marie-Madeleine. © Ralph Hammann

 

 

Zurück