Sonntagsbrief zu Allerseelen 2. November 2016

1. November 2016 von Johannes Brinkmann

Herausgerufen!

Vergangenes zu neuem Leben © (2016) Sigrid GrabmeierAls Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten.A ls Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus. Marta sagte zu Jesus: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.“ Jesus sagte zu ihr: „Dein Bruder wird auferstehen.“ Marta sagte zu ihm: „Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag.“ Jesus erwiderte ihr: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?“ Marta antwortete ihm: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“

Joh 11,17-27
Einheitsübersetzung 1980

Wie die Geschichte weiter geht, wissen wir alle: Jesus weckt Lazarus mit Hilfe seines Vaters, GOTT, vom Tod auf, damit alle glauben, dass der Vater ihn gesandt hat. Dabei ist sein Freund Lazarus schon seit vier Tagen tot.

Hinter dieser Erzählung steckt ein Glaube, den der Jesuit Roger Lenaers in seinem bemerkenswerten Buch „Der Traum des Königs Nebukadnezar“ als „heteronom“ bezeichnet. Der heteronome Glaube geht davon aus, dass über unserer irdischen Wirklichkeit eine zweite, göttliche Wirklichkeit ist, überirdisch und Jenseits genannt oder auch Himmel, in der GOTT thront, seine Gesetze erlässt und jederzeit in diese Welt eingreifen kann bis hin zum Aussetzen der Naturgesetze. Diese Vorstellung war in der Menschheitsgeschichte, genauso wie das terra-zentrische Weltbild (die Erde im Mittelpunkt), über Jahrtausende ganz selbstverständlich. Auch der geschichtliche Jesus hatte sicher ein terra-zentrisches und auch heteronomes Weltbild. Doch das ist in der Moderne - so Lenaers - nicht mehr vermittelbar, es ist Zeit, sich von ihm zu verabschieden, die Sprache unseres Glaubens von ihm konsequent zu reinigen.

Und genau dieses hier im Evangelium so spektakulär beschriebene Eingreifen des Vaters durch Jesus ist ganz und gar und lupenreine Heteronomie, also nach Lenaers überholt und unserer modernen Welt nicht mehr vermittelbar.

Martha spricht zu Jesus: "HERR, er stinkt schon; denn er ist vier Tage gelegen.“ Wissen Sie, liebe Leser, wie ein Leichnam nach vier Tagen zurecht ist? In welchem Zustand Körper und Gehirn ist? Und das soll komplett wieder repariert worden sein?

"Lazarus, komm heraus!“ ruf Jesus. Ein Ruf, der mich sehr an das andere Wort für Kirche, nämlich Ekklesia erinnert: Ekklesia wörtlich „die Herausgerufene“!

Und in diesem übertragenen Sinn leuchtet mir eine Tür auf, das Wunder auch heute noch Nahe zu bringen:
„Unsere (menschliche) Liebe ist gleichsam Abdruck seines (d.h. GOTTES) Wesen in der Tiefe unseres Wesens. Und dieser Abdruck hat Anteil an seiner Ewigkeit. Nichts von allem, was auf uns zukommt und daher zeitgebunden und bedingt ist, vermag uns von ihm zu scheiden, d.h. das Wachstum der Liebe in uns zu dämpfen oder zu ersticken. Auch nicht der Tod.“ „Wer mit der jüdisch-christlichen Tradition bekennt, dass man das Wesen des Urgeheimnisses (GOTT) doch wenigstens unvollkommen mit dem Begriff Liebe andeutet, soll auch bekennen, dass Wachsen in Liebe wachsende Einswerdung mit GOTT ist und daher wachsende Teilhabe an seiner Ewigkeit, dem biologischen Tod zum Trotz.“ „Denn uns der Liebe anzuvertrauen und unser biologisches Dasein von ihr beschlagnahmen und bestimmen zu lassen, ist gut, und sogar das einzig Gute.“ so schreibt Roger Lenaers als Vorschlag für eine neue fromme Sichtweise, die die Heteronomie überwinden und doch den Glauben in seinem Wesenskern bewahren und glaubwürdig in unserer Zeit vermitteln kann.

Ein fröhlich vertrauendes Fest „Allerseelen“
Euer
Johannes Brinkmann

Textnachweis: Lennaers, Roger: Der Traum des Nebukadnezar, copy-us edition anderswo, 3. Aufl., ISBN/EAN: 9783935861151
Bildnachweis: Vergangenes zu neuem Leben © (2016) Sigrid Grabmeier

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