Sonntagsbrief zum Fest Allerseelen, 2. November 2015
1. November 2015 von Anna Röder
Im Ursprung verwurzelt
Sonntagsbrief zum Fest Allerseelen, 2. November 2015
Alle, die sich von der göttlichen Geistkraft leiten lassen, sind Töchter und Söhne Gottes. Denn ihr habt ja nicht eine Geistkraft erhalten, die euch versklavt hält, so dass ihr weiterhin in Angst leben müsstet. Ihr habt eine Geistkraft empfangen, die euch zu Töchtern und Söhnen Gottes macht. Durch sie können wir zu Gott schreien: „Abba, mein Ursprung.“ Die Geistkraft selbst bezeugt es zusammen mit unserer Geistkraft, dass wir Kinder Gottes sind. Wenn wir aber Kinder Gottes sind, dann bekommen wir auch einen Anteil von dem, was ihr gehört. Wenn wir einen Anteil am Reichtum Gottes erhalten, verbindet uns das mit dem Messias, so gewiss wir sein Schicksal teilen, auf dass auch wir zusammen mit ihm von Gottes Glanz erfüllt werden. Ich bin überzeugt, dass die Leiden, die wir jetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfahren, ihre Macht verlieren im Schein der kommenden göttlichen Gegenwart, die sich an uns offenbart. Die gespannte Erwartung der Schöpfung richtet sich darauf, dass die Töchter und Söhne Gottes offenbar werden. Denn die Schöpfung ist der Nichtachtung ausgeliefert – nicht aus freier Entscheidung, sondern gezwungen von einer sie unterwerfenden Macht. Sie ist aber ausgerichtet auf Hoffnung. Denn auch sie, die Schöpfung, wird aus der Versklavung durch die Korruption befreit werden und wird teilhaben an der Befreiung der Kinder Gottes durch die göttliche Gegenwart. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mit uns gemeinsam schreit und mit uns zusammen an der Geburt arbeitet – bis jetzt!
Röm 8, 14 -23
Bibel in gerechter Sprache
Neulich fiel mir beim Aufräumen unser Familienstammbaum in die Hände. Meine Mutter hatte vor vielen Jahren akribisch an ihm gearbeitet und uns ein unfertiges Exemplar geschenkt: es zeigt einen großen Baum mit vielen kleinen und großen, unterschiedlich starken Ästen und Zweigen, an die sie Namen , Geburts-und Sterbedaten mit Ortsangaben und Verwandtschaftsverhältnis angegeben hat. Ein wunderschönes Bild . z.T ergänzt durch Fotos! Meine Mutter hat ihr Anliegen mit dem Wunsch verbunden, dass ihre Enkel wissen sollten, woher sie abstammen. Das Fest „Allerseelen“ erinnert uns an unsere Vorfahren, also an unsere Wurzeln.
Ich denke, es ist gut zu wissen, woher wir kommen, damit wir auch wissen, wohin wir gehen. Unsere Ahnen wussten nicht nur, woher sie kamen, sie brauchten nur auf den Friedhof zu gehen, um die Namen zu lesen. Sie wussten auch, wohin sie gingen. Viele von ihnen haben durch Krieg und Flüchtlingsschicksale ihre Heimat nie wieder gesehen, ihre Wurzeln wurden zerstört. Sie konnten sich nur noch im Herzen an ihre Wurzeln erinnern, wenn ihnen sonst nichts blieb. Ähnlich wird es wohl auch den vielen Tausenden Flüchtlingen ergehen, die aus ihrer Heimat, aus Not und Krieg nach Europa flüchten, die alles verlieren, ihre Heimat, ihre Verwandten verlassen müssen, sich radikal auf Neues einlassen.
Paulus beschreibt in seinem Brief, dass wir alle Teil haben an göttlicher Geistkraft, sie verbindet uns untereinander und mit Gott. Die an sich so wichtige Verbindung zu den Ahnen ist in den christlichen Kirchen nicht zu sehr verankert; eher legte man Wert darauf, für die Armen Seelen zu beten. Wir können an diesem Fest ganz bewusst an jene denken, aus deren Wurzeln wir kommen und auf deren Schultern wir stehen, an unsere Eltern; Großeltern … vielleicht auch noch an unsere Urgroßeltern, auch wenn wir sie nicht mehr gekannt haben. Es ist wichtig, den Jungen von ihren Wurzeln zu erzählen und von der geheimnisvollen Kraft, die in der Kette der Generationen liegt.
Denn die Energie geht nicht verloren, so lange wir sie nicht an uns vorbei laufen lassen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob diese Wurzeln einer kirchlichen Norm entsprechen.
Die bischöfliche Familiensynode beriet in Rom unter Leitung von Papst Franziskus zu Themen von Familie, Ehe und Sexualität. Um glaubwürdig in den Fußspuren des Nazareners Jesus, auf den sie sich beruft, zu bleiben, müsste sie sich endlich dieser „Geburtswehen der Schöpfung“ bewußt werden. Denn die Kirche schließt immer noch an entscheidenden Punkten Menschen aus, benachteiligt sie und errichtet große Hürden für ein Leben in Liebe und gegenseitiger Verantwortung als Partner und Eltern. „Komm, bau ein Haus, das uns beschützt. Pflanz‘ einen Baum, der Schatten wirft, und beschreibe den Himmel, der uns blüht“, so besingt es ein Lied unserer christlichen Kirche, das eint und versammelt, und nicht ausschließt. So, wie der Stammbaum, der verwurzelt ist in Gottes Liebe zu uns.
Regina Grotefend-Müller