2. Sonntagsbrief zum 25. Sonntag im Jahreskreis, 18. September 2016

17. September 2016 von Gastautor Peter Otten

Der Verwalter der Ungerechtigkeit - ein widerborstiges Gleichnis

Lk 16, 1-13
Einheitsübersetzung

Ein skandalöses Gleichnis im heutigen Sonntagsevangelium. Da wird ein Verwalter dafür gelobt, dass er seinen Herrn um beträchtliche Summen erleichtert. Weil seine Entlassung bevorsteht, ruft  er die Schuldner einzeln herbei und lässt sie ihre Schuldscheine ändern: Die Schuld von 100 Fass Öl wird auf 50 reduziert, die von 100 Sack Weizen auf 80. Willkür, gemeinschaftliche Urkundenfälschung und Betrug in gewaltigem Umfang auf Kosten seines Arbeitgebers also. – Und an diesem Gauner sollen sich Christen ein Beispiel nehmen und es in religiösen Dingen entsprechend machen, so klug sein wie er in weltlichen!? Das widerspricht doch in grober Weise den 10 Geboten und ist unvereinbar mit dem, was Jesus gelehrt und gelebt hat!

Wie aber ist dieses Geschichte ins Evangelium gekommen, wenn sie seinen Grundanliegen so sehr widerspricht. Irgend etwas stimmt da nicht.

Schauen wir genauer hin: Was die deutsche Einheitsübersetzung mit „ungerechtem“ oder „unehrlichem Verwalter“ wiedergibt, heißt im griechischen Urtext „Verwalter der Ungerechtigkeit“; der lateinische Text stimmt damit völlig überein. Im deutschen Text wird dies aber mit „der ungerechte“ oder „der unehrliche Verwalter“ übersetzt, was den Urtext verfälscht; denn dort wird nicht der Verwalter, sondern der Besitz, genauer gesagt der ungerecht erworbene Besitz des reichen Mannes als ungerecht bezeichnet.

Eine weitere Unkorrektheit der deutschen Übersetzung: Der Verwalter wurde nicht beschuldigt, sondern verleumdet, diffamiert heißt es im lateinischen Text. Da gab es wohl einen Neider, der ihn auf seinem Posten ablösen wollte. Jedenfalls konnte der Unternehmer nach damaligem Recht seinen Geschäftsführer jederzeit ohne Überprüfung einer Anschuldigung entlassen. Der so eilfertig als Gauner bezeichnete Verwalter könnte also auch als ein Opfer von Missgunst verstanden werden. Ein Blick in die jüdische Sozialgesetzgebung und damalige Wirtschaftspraktiken hilft uns weiter auf dem Weg zum rechten Verständnis dieses widerborstigen Gleichnisses.Den Juden war es verboten, von einem jüdischen Mitbürger Zins zu nehmen. Die vom Verwalter gewährten Nachlässe, entsprechen nun interessanterweise genau den damals üblichen Zinssätzen: 100 % bei Öl, 25 % bei Weizen. Der Verwalter reduziert auf die Ursprungsschuld der Kleinbauern von 50 Fass Öl und 80 Sack Weizen. Damals waren Schulden in Naturalien zu begleichen. Der „Verwalter der Ungerechtigkeit“  kehrt also vom Gesetz des Marktes zum Gebot Gottes zurück. Jetzt verstehen wir schon eher, warum er gelobt wird.

Wer aber ist der eigentliche Gauner in unserer Geschichte? Bilden Sie sich selbst ein Urteil: Im jüdischen Vertretungsrecht hat der Verwalter Vollmacht für alles und seine Handlungen sind bindend für den Unternehmer. Wenn der Verwalter also Schulden erlässt, mindert er zwar das Vermögen seines Herrn, begeht damit  aber keinen Rechtsbruch, kann also nicht als Betrüger bezeichnet werden. Jedoch gibt es keine Vertretung bei Delikten, der Herr haftet also nicht bei rechtswidrigen Handlungen seines Verwalters. Die strafrechtlichen Folgen hat allein dieser selbst zu tragen. Hierin liegt das „Pikante“ der Situation, eine Rechtsraffinesse: Nur der Verwalter macht sich die Hände schmutzig, während der Unternehmer hingegen sich bereichert, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.

Dieses „Spiel“ nicht mitzumachen, hätte unweigerlich zur Entlassung des Geschäftsführers geführt. Denn mit dem Schuldenmechanismus machten sich „gewisse reiche Männer“,  im Lauf der Jahre zu Großgrundbesitzern. Sie lebten in Jerusalem, der wirtschaftlichen und politischen Machtzentrale des Landes, in der Regel auch mit einem guten Draht zur Römischen Besatzungsmacht. Hier waren vielfältige Geschäfte zu machen.

Der Verwalter weiß, wie die Verschuldung für viele ausgeht: Nach Jahren wächst sie so an, dass der Gläubiger seinem Schuldner sagen kann: Du wirst das alles nie mehr zurückzahlen können; deswegen übernehme ich deine Äcker oder deinen Olivenhain. Von jetzt an wirst du als Pächter darauf arbeiten, in meinem Haus vielleicht auch deine tüchtige Frau oder hübsche Tochter (Schuldversklavung). Solche durch Darlehensgabe und Zinsnahme herbeigeführten Enteignungsprozesse waren ein übliches Geschäftsmodell. Es führte zu Abhängigkeit und Armut einer ehemals freien Bauernschaft zugunsten des stetigen Anstiegs der Macht und des Reichtums einer skrupellosen „Elite“.

Worin kann uns der „Verwalter der Ungerechtigkeit“ heute Vorbild sein?  Auch wir sind z.B. bei Schnäppchenjagd, Kreuzfahrten, Handykäufen als „Transmissionsriemen“ in den Götzendienst am Mammon der Ungerechtigkeit eingespannt. Vielfältig und meist ohne es zu bemerken oder zu wollen, beteiligen wir uns an und profitieren wir von den unüberschaubaren globalen Mechanismen der Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur.

Wir sind gewissermaßen in der Rolle des Verwalters. Ein radikales Aussteigen wie bei ihm, geht bei uns nicht. Was aber geht ist folgendes: wir können versuchen zurückzugeben, was wir ungerechterweise genommen haben. Die direkt ausgebeuteten kennen wir nicht, es gibt aber genügend Institutionen (kirchliche, staatliche, private), die weltweit effektiv Arme, Hilfsbedürftige unterstützen, auch durch strukturelle Maßnahmen. Sie sind fachkundig, arbeiten nachhaltig und machen auch notwendige Öffentlichkeits- und politische Arbeit. Es gibt auch viele private kleine Gruppen mit sehr persönlichen Verbindungen und enormem Engagement.

Ein weiteres großes und enorm wichtiges Aktionsfeld steht uns offen: Es geht hier mehr um Unterlassen als um Tun: nicht wegwerfen, was noch tauglich ist; möglichst Füße und Fahrrad benutzen statt Auto; gezielt fasten; Zurückhaltung bei Schnäppchen; nicht immer den „letzten Schrei“ kaufen, wenn das Alte noch gut ist. Wir sind aufgefordert, den ungerechten Anteil  zu erstatten, zurückzugeben, und aufzuhören, auf Kosten von anderen zu leben, gar in Luxus zu leben. Nicht alles, was der Geldbeutel leisten kann, können wir uns wirklich leisten! Die „Asozialen“ sind meist nicht die Sozialhilfeempfänger,  sondern die in übermäßigem Luxus Lebenden.

In seinen beiden Enzykliken verbindet Papst Franziskus gründliche Analysen mit klaren Stellungnahmen; er bietet hilfreiche Orientierung und macht detaillierte, wohlbegründete Vorschläge, was zu tun ist.  Wir sind Kirche! Warten wir nicht, bis auch unsere Bischöfe es wagen, dieses Evangelium so auszulegen, sondern kehren wir wie der Verwalter zurück zum Gebot Gottes, zur Leitlinie des Evangeliums. Für Christen sind, wie für Jesus, die Armen das Kriterium für die Qualität einer Gesellschaft, und nicht das Bruttosozialprodukt.

Hans Kirsch

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