Freitag der ersten Adventswoche, 5. Dezember 2025
Als Jesus von dort weiterging, folgten ihm zwei blinde Menschen, sie schrien und sagten: »Hab' Erbarmen mit uns, Nachkomme Davids.« Als er in das Haus ging, kamen die Blinden zu ihm. Da sagt Jesus zu ihnen: »Vertraut ihr mir, dass ich das tun kann?« Sie antworteten: »Ja, wir vertrauen dir.«
Mt 9,27-28 Bibel in gerechter Sprache
Vertrauenfrage
Ich bin auf dem Land aufgewachsen und natürlich hatte ich mein Heimatkaff vor dem Abi schon mal verlassen. Aber nie alleine und nie mit dem Ziel, ein neues Leben aufzubauen. Jetzt drehte ich mich um meine eigene Achse und versuchte, mich auf der riesigen Domplatte irgendwie zu orientieren. …
Ich atmete ein paar Mal tief ein. Ich wollte es ja so. Ich wollte es alleine schaffen, mir mein neues Leben aufzubauen. Gleichzeitig spürte ich in diesem einsamen Moment inmitten hunderter Fremder: Wenn es ohne mein bisheriges Umfeld klappen sollte, dann ging es nicht ganz alleine. Dann musste ich die Hilfe anderer Menschen annehmen. Ich würde mich trauen müssen, Passanten auf der Straße anzusprechen und vielleicht sogar körperlichen Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Mich trauen, fremden Menschen zu vertrauen.
Das mag erstmal nicht so kompliziert klingen. Aber wenn man bedenkt, dass wir uns das Vertrauen in Fremde, die Abhängigkeit von anderen, auf dem Weg vom Kind zum Erwachsenen Stück für Stück abtrainieren, können Sie vielleicht ahnen, welch Überwindung solche Offenheit einen gerade volljährigen jungen Mann kostet. Rückblickend kann ich sagen: Ich habe diese Fähigkeit nach meiner fast vollständigen Erblindung mit 18 neu gelernt. So wie ich gelernt habe, mich auf meine anderen Sinne zu verlassen, um mich selbstständig durch die Welt bewegen zu können.
Michael Wahl, Kolumnist bei der Süddeutschen Zeitung
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